Die LDEF-Mission

Mein Sabbatjahr in den USA

Kurz vor Weihnachten des Jahres 1982 erhielt ich die Einladung, zur Entwicklung eines Instruments zur Untersuchung von interplanetaren Staubteilchen für die Dauer eines Jahres in die USA zu kommen. Wir waren gerade Familie geworden und der Aufbruch galt natürlich allen drei. Nach rund einer Dekade in Heidelberg Studien- und Assistentenzeit war dieser Aufbruch nicht unerwartet. Auch wenn man Heidelberg nicht gerne verlässt, waren wir alle in freudiger Erwartung, längere Zeit in einer anderen Kultur zu leben und zu arbeiten. Prof. Dr. Walker, Direktor des Space Centers, und Prof. Dr. Ernst Zinner, Experte für SIMS-Analysen, zeigten sich erfreut über die zusätzliche Unterstützung aus Old Germany. Mir fielen folgende Aufgaben zu:

  • Entwicklung und Bau einer Produktionszeile für die Herstellung von 250 identischen LDEF-Einschlagsdetektoren (LDEF: Long Duration Exposure Facility)
  • Überwachung des Vibrationstests der ersten Flugeinheit bei der NASA in Houston, Texas
  • Fertigung und Integration eines thermal-kontrollierten Folientests an Bord des Space Shuttle; Start 11. November 1982.
    Es galt die beim letzten Shuttle-Flug beobachtete Erosion von Folien und deren Bedampfung zu untersuchen.
  • Kalibrierungsmessungen: Detektor-Protypen, die am Beschleuniger der TU München, Prof. Igenbergs, mit Hochgeschwindigkeitsprojektilen beschossen wurden, konnten zunächst an der TU Wien, Prof. Grasserbauer, und dann auch an der Washington University, Prof. Walker, analysiert werden

Ich erinnere mich noch lebhaft an den ersten Flug des Space Shuttle. Wir waren gerade mit der Kometenstaubgruppe des MPI auf Klausur auf dem Schloss Ringberg in Bayern, als das Shuttle erstmals abhob. Damals hatte ich die Gelegenheit, neueste Ergebnisse meiner Doktorarbeit "Nachweis von Komternstaubteilchen geringer Dichte" mit dem ehemaligen Direktor des Space Research Institute of the USSR Academs of Science, Prof. Roald Sagdeev, zu diskutieren. Er war einer der Wissenschaftsberater von Mikhail Gorbachev (und falls ich mich richtig erinnere, war er mit der Enkelin von Dwight D. Eisenhower verheiratet). - Und nun sollte ich Gelegenheit haben, mit all diesen positiven Erfahrungen mit dieser wunderschönen Flugmaschine Space Shuttle zu arbeiten.

Testflug. Der atomare Sauerstoff und die durch ihn ausgelöste Erosion machte es erforderlich, dass wir als vorlaufende Entwicklungsarbeit zunächst Folien und deren Bedampfung auf ihre Beständigkeit gegenüber atomarem Sauerstoff im Weltraum zu untersuchten. In enger Kooperation mit der NASA in Houston bekamen wir eine Mitfluggelegenheit bereits auf dem 5. Shuttle-Flug im November 1982.

Es mag noch ein interessantes Detail sein, dass Dr. Fred Hörz von Houston (er trainierte z. B. die Apollo 14 - Astronauten im Nördlinger Ries und im Meteoritenkrater (Barringer-Krater) in Arizona) genau in der Zeit ans MPI in Heidelberg kam, als wir nach USA gingen. Deshalb bot es sich an, dass er mit seiner Familie unsere Institutswohnung in der Forstquelle in Heidelberg in dieser Zeit übernahm. 

Für den Testflug konnten wir ein paar wenige noch freigehaltene Flächen belegen. Es waren auf einen Al-Träger aufgebrachte Testfolien, die mit unterschiedlich dicken Bedampfungen versehen waren. Abbildung 20 zeigt oben einen Al-Träger, der mit einer Blende teilweise kaschiert war. Darunter ist ein mit einer Folie belegter Träger, der im Bereich der Bohrungen zuvor eingebrachte mikro-Meter große Öffnungen enthielt, nach dem Flug zu sehen. Abbildung 21 zeigt den gesamten Aufbau bereits auf einem Experimentträger integriert.

Im Gegensatz zu mir, waren diese Teile im Weltraum, weshalb ich sie wie einen kleinen Schatz hüte.

 20 AlTraeger

 Abbildung 20: Einer der bei der Untersuchung von atomarem Sauerstoff benutzten Al-Träger;
             - oben ohne Testfolie
             - unten mit präparierter Testfolie
Credit: Norbert Pailer

 

 20 Experimenttraeger

 Abbildung 21: Auf dem Experimentträger des Space Shuttle integrierte Proben (jeweils am oberen Rand).
Diese Teile waren - im Gegensatz zu mir - im Weltraum, weshalb ich sie wie einen kleinen Schatz hüte.

Credit: NASA

 

22 RueckgefuehrteProben

 Abbildung 22: Rückgeführte Proben zeigten in der Tat gewisse Wechselwirkung im Umfeld zuvor eingebrachter Löcher in Form von Spinnenwebenmustern
Credit: Norbert Pailer, McDonnell Space Center, St. Louis

 

Abbildung 23 zeigt das Space Shuttle auf seinem Weg zum Launch Pad. Nach der Rückkehr des Shuttle hatte ich die Gelegenheit, nach langjährigen Kratestudien am MPI in Heidelberg, die Hitzekacheln des Shuttle direkt in Augenschein zu nehmen.

Space Shuttle auf dem Launch Pad

Abbildung 23: Das Space Shuttle im Morgennebel auf dem Weg zum Launch Pad

Credit: NASA

Enttäuschend war zunächst, dass die elegante Flugmaschine nun aus direkter Nähe nach dem Flug aussah wie ein schlecht gekacheltes Badezimmer: Krater und Schmauchspuren, die von der enormen Belastung des Hitzeschutzschildes zeugten. Die Begeisterung für dieses Fluggerät war jedoch so groß, dass ich mich für die Astronautenausbildung interessierte. Ich wäre sicher in der Position der Bewerberschlange noch die eine oder andere Stelle vorgerückt, hätte nicht die Explosion der „Challenger" dem ganzen Prozess ein jähes Ende gesetzt. Und als der Ausbildungsbetrieb Jahre danach wieder aufgenommen wurde, war ich zu alt.

Entwicklung und Bau der Detektoren: Ziel des Experiments war, die beim Einschlag von Mikrometeoriten auf hochreinen Ge-Targets erzeugten Ejektas auf der darüber liegenden Unterseite einer metallisierten Folie mit Hilfe der SIMS-Technologie zu untersuchen. Abbildung 24 zeigt das Ergebnis einer Simulation an der Technischen Universität München.

 24 Simulation

Abbildung 24: Als Ergebnis einer Simulation zeigt dieses Bild die Ejektas eines Einschlagsvorgangs auf der Unterseite einer metallisierten Folie

Credit: Norbert Pailer, McDonnell Space Center, St. Louis

 

Nach erfolgreichem Abschluss aller Voruntersuchungen inklusive technischer Vorentwicklungen, war nun der Bau der Detektoren und deren Test zu stemmen. Die Folien mussten gezielt auf einen Rahmen aufgespannt und verklebt werden, sodass eine zuverlässige Metallisierung möglich war. Erfolgreich prozessierte Folienrahmen wurden dann über den Ge-Targets moniert und für einen Schütteltest in Houston vorbereitet, was die Abbildungen 25 bis 27 zeigen.

 25 Metallisierung

26 Metallisierung

27 Metallisierung

Abbildung 25 - 27: Gleichmäßig vorgespannte Folien werden zur Vorbereitung der Metallisierung auf Al-Rahmen aufgebracht, bevor sie - über den Ge-Targets integriert werden konnten

Credit: McDonnell Space Center, St. Louis (alle drei Bilder)

 

LDEF-Start am 6. April 1984: Nach einem glänzenden Start des Space Shuttle, "Challenger" kam es bald darauf zur Öffnung der Nutzlast-Shuttle-Bucht und LDEF (Long Duration Exposure Facility) wurde der freien Weltraumumgebung ausgesetzt.

Abbildung 28 zeigt die letzten Momente vor dem Beginn des Freiflugs; noch sind wir am Haken des Space Shuttle Manipulators.

LDEF-Rückführung im Januar 1990: Verzögerungen sind im explorativen Weltraumerkundungsgeschäft nicht auszuschließen. In diesem Fall traf auch LDEF dieses Schicksal. Letztlich wurde es nach fast 6 Jahren Weltraumaufenthalt gerade noch möglich, LDEF sicher zur Erde zurückzubringen. Kurz darauf wäre das Ende „automatisch" durch den Wiedereintritt in die Atmosphäre besiegelt worden.

Abbildung 29 zeigt Szenen der Rückführung mit Hilfe des Space Shuttle "Colombia" (beide Shuttle sind leider in einer jeweiligen Katastrophe verloren gegangen, "Challenger" beim Start am 28. Januar 1986 wegen zu kalter Temperaturen und "Colombia" beim Wiedereintritt am 1. Februar 20013 durch beim Start beschädigte Hitzekacheln).

Kleine Hommage an Prof. Dr. Ernst Zinner: Ich hatte das Vergnügen, über lange Jahre mit Ernst zusammen zu arbeiten, der mit seiner Ion Probe erstmals Spuren von extra-solarem Material in einem Meteoriten nachwies: "Fossils older than the Sun". Er hat auch das internationale Team von LDEF koordiniert. Ernst war zudem ein guter Pianist und wurde "Wladimir Horowitz of the Ion Probe" genannt. Nun ist er im August 2015 - am Tag seiner letzten Veröffentlichung - gestorben. 

Es wäre ein schönes i-Tüpfelchen geworden, wäre der von ROSAT abgeleitete ROBUS (Retrieval Orbiting Bus), den ich mit meinem Team bei Dornier GmbH von der ersten Idee als Teleskop-Träger bis zum Phase C/D-Angebot getrieben habe, mit dem Space Shuttle geflogen wäre.

Abbildung 30 zeigt einige Entscheidungsträger vom DLR und Astrium um ein ROBUS-Modell. Wir hatten gar eine direkte Kooperation mit dem SPARTAN-Träger der NASA. Aber der umgebaute Astrospas von MBB/Erno hat uns damals diesen Spaß verdorben. Daher der Name?

Es war für mich eine aufregende - um nicht zu sagen - eine unwiederbringliche Zeit. So viele „First" und so viele abenteuerliche Wissenschaftsmissionen wird es voraussichtlich schon allein wegen zunehmender Geldknappheit so schnell nicht mehr geben. Dabei mag ich kein Senkrechtstarter mit Kondensstreifen gewesen sein, aber ich bin schlicht dankbar, dass ich diese außerordentlich spannende Zeit in Gottes Werkstatt erleben und teilweise mitgestalten durfte. Ich freue mich, Teil dieses größten Abenteuers menschlichen Geistes gewesen zu sein.

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Abbildung 7b

Abbildung 28a und 28b: Nach einem erfolgreichen Start am 6. April 1984 ist die Long Duration Exposure Facility LDEF mit unserem Experiment zur chemischen und isotopischen Untersuchung interplanetarer Staubteilchen an Bord im Weltraum. Unmittelbar danach hat sie der Haken des Space Shuttle Manipulators freigegeben.
Credit: NASA (zwei Bilder)

 

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Abbildung 29a und 29b: LDEF befindet sich am Ende seiner Freiflugphase: Das Space Shuttle nähert sich dem LDEF-Satelliten. Die Rückführung von LDEF wurde verzögert, nicht zuletzt durch die Explosion des Space Shuttle „Challenger“ und wurde wenige Wochen vor ihrem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre im Januar 1990 zur Erde zurück gebracht. Die Auswertung der gesammelten interplanetaren Staubteilchen erfolgte im Wesentlichen über sogenannte SIMS-Analysen (Secondary Ion Mass Spectroscopy). 
Credit: NASA (zwei Bilder)

 

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Abbildung 30: Wissenschaftler von der Universität Tübingen zusammen mit Entscheidungsträgern vom DLR und Astrium zusammen mit einem Modell des Teleskopträgers ROBUS
Credit: Dornier System GmbH

Video: Glaube und Wissenschaft

Video: Staunen über das Universum

Video: Rosetta Mission