Die Rosetta-Kometenmission
Ein spannender Wissenschaftskrimi
Immer der NASA nach ...? Die NASA sieht die ESA gerne als Juniorpartner. Demgemäß ist das Motto der ESA: Immer der NASA nach. Dafür gibt es einige Beispiele. Rosetta ist eine rühmliche Ausnahme. ESA ist nach dem Wegbrechen des Partners (siehe oben) nicht eingeknickt und hat nur das Motto ein bisschen modifiziert: Anstelle von „wir holen eine Kometenkernprobe zurück in irdische Labors" gilt nun „wir fliegen ein Labor zum Kometen". Und das geschah am 12. November 2014. Hier wurde erstmals ein menschengemachtes Objekt auf einem Kometenkern abgesetzt, der bis vor wenigen Monaten nur ein kleines Lichtpünktlein war.
Als junger Industriephysiker - ich wechselte in der Zwischenzeit in die Industrie - hatte ich das Vergnügen, zunächst mit dem Halley-Encounter betraut zu sein. Ich vergesse nicht die Sitzung bei Manfred Kübler, Technischer Direktor bei Dornier System GmbH, der am Ende des wöchentlichen Meetings noch die Bitte vortrug, die der Schweizer Fernsehsender DRS an ihn gerichtet hat: Man plant eine Live-Sendung. Gesucht wird einer, der Dorniers Beitrag zu Giotto vertritt. - „Das muss aber ein fotogener sein“, sagte er mit seinem breiten schwäbisch. Seine dunklen Augen schauten über den Rand seiner Brille in seine Herrenrunde (Damen waren damals in der Raumfahrt noch seltener). Nachdem er nicht fündig wurde, deutete er auf mich: „Pailer, dann machen Sie das!“
Mein erster Fernsehauftritt im DRS. Mir wurde erst bewusst, worauf ich mich einließ, als mir während der spannenden Momente des Encounters mit einem Kauderwelsch aus englisch und schwytzerdütsch Mikrophone wie Dolche unter die Nase gehalten wurden: Alle wollten - von mir - Auskunft, weshalb der Datenstrom im spannendsten Moment abriss! - Ein größeres Staubteilchen hatte wohl an der Peripherie des von uns entwickelten Staubschutzschildes (Stichwort „Schusssichere Weste“) eingeschlagen und die spin-stabilisierte Sonde ins Wanken gebracht, sodass die Antennenkeule der Hochleistungsantenne ihre exakte Ausrichtung auf die Erde verlor und der Telemetrie-Datenstrom an der Erde vorbei ging. Glücklicherweise waren Nutationsdämpfer eingebaut, die schnell halfen, das Taumeln zu kompensieren und die Datenraten schwollen wieder von einem Datenrinnsal zu einem kontinuierlichen Datenstrom an. Aber spannend war das schon! Abbildung 8 zeigt eine Szene aus der Sendung.
Abbildung 8: „Die Nacht des Kometen“ - so der Titel der Fernsehsendung im Schweizer DRS zum Giotto-Encounter im März 1986
Credit: DRS1
Es gehörte schon damals dazu, als Programmleiter auch für gute Laune unter Wissenschaftlern und Journalisten zu sorgen, auch das war neben technischen Entwicklungsarbeiten abzudecken. So ließen wir uns etwas Entsprechendes für die größte Annäherung des Kometen Halley einfallen. Da in unseren Breiten der Himmel oft bedeckt ist, Komet Halley mit seiner 76-jährigen Wiederkehr „a once in a lifetime“ ist, boten wir mit Dr. Ulke, dem Geschäftsführer, einen Flug für Wissenschaftler und Journalisten über den Wolken mit einer Do 228 an. Die Firma Carl Zeiss konnten wir für die Bereitstellung feinster Ferngläser gewinnen und die Flugzeugfenster waren vor dem Start noch extra zu polieren. So hoben wir denn von Friedrichshafen fröhlich und zuversichtlich ab und flogen bis Italien. Es war bei aller Freude über dieses Ereignis nicht einfach, bei den instabilen Verhältnissen an Bord sicherzustellen, dass jeder den seltenen Blick auf dieses schwache Funzeln von Halley am Nachthimmel zuverlässig erhaschen konnte. Jedenfalls war das Presseecho am nächsten Tag entsprechend. In Abbildung 9 illustrierte mein Grafiker, Fred Rosenthal, humorvoll die Szene. Wir waren damals mit unter den Ersten, die bei astronomischen Ereignissen Flüge über die Wolken anboten, was heute für Interessierte zum Standard gehört.
Abbildung 9: Aller Augen an Bord der Do 228 waren während des Erkundungsflugs über den Wolken strikt gegen das schwache Funzeln des Kometen Halley gerichtet
Giotto war mit der ersten Abbildung eines Kometenkerns so erfolgreich, dass Europa gesteigerten Appetit auf Kometen bekam. Daraus wurde am Ende Rosetta. Nach den ersten Simulationen am Max-Planck-Institut in Heidelberg (siehe oben) hatte ich nun das Vergnügen, mit meinem Team die erste Studie für ein Landegerät bei Dornier durchzuführen. Wir waren technisch gut, aber finanziell nicht akzeptabel (eben der übliche Wahnsinn). Die Lander-Entwicklung wurde letztlich vom DLR und dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg/Lindau übernommen, wobei wir - in diesem Fall Astrium GmbH - noch System Engineering Support beisteuerten.
Der Weltraummarathon von Rosetta beginnt. 2004 wurde Rosetta endlich auf den Weg gebracht, nachdem die Ariane 5 bei der vorlaufenden Startkampagne mit vier von Astrium gebauten Cluster-Satelliten über den Sümpfen von French Guyana wegen einer Fehlfunktion gesprengt werden musste (Unfallursache war ein in der Treibstoffleitung der Rakete vergessener Putzlappen; ich habe heute noch Cluster-Reste aus jenen Sümpfen, die ein Kollege gegen eines meiner Bücher mit mir getauscht hatte). Diese letzte - durch Ursachenforschung erzeugte - Verzögerung bedingte für die fertig gestellte Rosetta-Sonde noch das Anpassen an einen neuen Kometen, weil der zuerst vorgesehene Komet natürlich nicht auf uns wartete: Man wechselte nach länglichen Diskussionen um einen Start mit der russischen Proton-Rakete den Kometen von Wirtanen auf Tschurjumow-Gerassimenko und startete eben später.
Noch lag der Weltraumbahnhof Kourou in French Guayna an jenem Morgen des 2. März 2004 in der ersten Dämmerung des Tages, als eine Rakete vom Typ Ariane 5 auf einem Feuerstrahl abgestützt um 8:17 Uhr in den bewölkten Himmel jagte. Nach einigen Vorbeiflügen zum Schwungholen für die Reise in die Tiefen des Alls - es war ein ausgewachsener Planetenbilliard - kam Rosetta im November 2007 nochmals zu einem letzten Farewell an der Erde vorbei. Ich war mit meinem Teleskop im Garten hinterm Haus auf der Suche nach einem kleinen bewegten Lichtpünktlen, dem ich nochmals „hinterherwinken“ wollte. Leider hat in unseren Breiten der bewölkte Himmel dies verhindert. Der Himmel war so ungnädig und hinterließ nicht einmal eine passende Wolkenlücke.
Zwischen den Jahren 2008 und 2010 kam es zur Kreuzung des Asteroidengürtels. Dies war in den Anfängen der Raumfahrt wegen der höheren Anzahl an Objekten durchaus gefürchtet. Heute jedoch stimmt man Startzeitpunkt und Bahn extra auf ein Rendezvous mit dem einem oder anderen Asteroiden ab:
- die relativ eintönige Reise durch das Dunkel des Raumes verlangt nach Abwechslung
- die Instrumente an Bord können zu Kalibrationszwecken erstmals aktiviert werden
- es kommt zur Erforschung von bislang unbekannten Objekten
Die Geschwindigkeit von Rosetta beträgt nun beachtliche rund 54 000 km/h. Nach dem Vorbeiflug am Asteroiden Steins näherte sich Rosetta dem Asteroiden Lutetia bis auf einen Abstand von rund 3 000 km. An der Oberfläche war ein 57 km großer Krater schnell zu erkennen, während ansonsten die Oberfläche mit großen Gesteinsbrocken gepfeffert ist. Abbildung 10 zeigt einen fotogenen Schnappschuss seiner Oberfläche an der Licht-Schattengrenze. Wegen seiner relativ hohen Dichte von 3,4 g/cm3 erwartete man ein metallreiches Objekt. Allerdings sah die Oberfläche dafür sehr untypisch dunkel aus. Deshalb wird Lutetia als metallreiches Objekten als Zwischenglied zwischen sogenannten „Rubble Piles“ (Kies/Schutthaufen), wie zum Beispiel der Asteroid Steins, und erdähnlichen Planeten angesehen. Nach diesen vorläufigen Höhepunkten ging`s ab in die Tiefe des Raumes.
Abbildung 10: Der Asteroid Lutetia an der Licht-Schattengrenze aufgenommen. Er gilt als Zwischenglied zwischen sogenannten Rubble Piles (Asteroiden als „Schutthaufen“) und erdähnlichen Planeten
Credit: ESA/ESOC/MPS
Die ESA brachte mehrere „Firsts" ein, indem Rosetta bis auf Jupiterhöhe erstmals mit Sonnenenergie geflogen ist (die NASA verwendet für solche Deep Space Missions immer sogenannte RTGs, also Radioisotopen-Generatoren zur Energieerzeugung). Für die ESA - und damit für Astrium als Hauptauftragnehmer - hieß der neue Vorstoß, sich auf einen „Winterschlafmodus" für die Sonde einzurichten. Etwas, was man eigentlich nicht tut:
- Entwickle leistungsfähigere Solarzellen
- Versetze die an sich 3achs-stabilisierte Sonde für die Zeit des „Winterschlafs" in eine rotations-stabilisierte Konfiguration
- Verzichte auf jeglichen Kontakt während einer Periode von 957 Tagen wegen „Winterschlafs" der Sonde
- Vertraue darauf, dass weder Hochgeschwindigkeits-Staubteilchen noch die kosmische Strahlung der Sonde in der Zwischenzeit etwas anhaben konnten
- Vertraue darauf, dass sich Rosetta durch eine interne Uhr am 20. Januar 2014 selbst aufweckt und ein Signal zur Erde zur Wiederherstellung des Kontakts sendet
Im Oktober 2012 erreicht Rosetta ihren sonnenfernsten Punkt: 795 Millionen Kilometer trennen sie nun von den wärmenden Strahlen der Sonne. Die Energie der 64 m2 großen Solargeneratoren reicht nur noch, um das Vehikel einigermaßen warm und die Borduhr am Ticken zu halten.
20. Januar 2014: Nun war es so weit. Wissenschaftler und Journalisten rund um die Welt haben sich zum Wake-up - Event von Rosetta bei ESOC (European Space Operation Center) in Darmstadt getroffen. Nach einigen Plenar-Diskussionsrunden sollte nun die Zeit gekommen sein, dass irgendwo im Weltraum knapp 815 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ein Wecker klingelt und das erste Signal der Sonde auslöst. Es sollte dann nach gut 45 Minuten von der Goldstone-Antenne in Kalifornien aufgefangen werden. Wir blickten eine gefühlte Ewigkeit lang auf eine grüne, gezackte Kurve auf den Bildschirmen, auf denen bisher nur Rauschen zu sehen war. 18:30 Uhr wurde das Signal erwartet. Nun ist es schon 19:00 Uhr. Die Nervosität steigt. Endlich entsteht auf dem Bildschirm der ersehnte Peak, der über das Rauschen hinausragte: Großer Jubel brach sich Bahn und nicht zuletzt das Astrium-Team atmete tief durch ... Abbildung 11 zeigt die Bildschirme mit dem allgegenwärtigen Rauschen, aus dem sich endlich der ersehnte Peak erhob.
Abbildung 11: Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit lang, bis sich endlich aus dem allgegenwärtigen Rauschen des Signals der hier gezeigte Peak erhob: Rosetta spricht wieder mit uns! - Fernab der Erde in den Tiefen des dunklen Raumes wacht Rosetta auf, ohne Kaffee, weit weg von der wärmenden Sonne - aber mit guter Betreuung von uns Erdlingen.
Credit: ESA/ESOC
Ich war an jenem Ereignis von ESA eingeladen, um aus wissenschaftlicher Sicht etwas zur speziellen Natur von Kometen und Asteroiden zu sagen. Abbildung 12 zeigt diese Aktion: Ich bin eingerahmt vom ehemaligen ESA-Projektwissenschaftler Dr. Gerhard Schwehm und dem Asteroiden-Experten der ESA Dr. Gerhard Drolshagen.
Abbildung 12: Panel-Diskussion zu Kometen und Asteroiden während des Wake-up - Calls von Rosetta am 20. Januar 2014 bei ESA/ESOC zusammen mit dem ehemaligen Projektwissenschaftler Dr. Gerhard Schwehm und dem Near-Earth-Object - Experten Dr. Gerhard Drolshagen
Credit: whotalking.com
Am 21. März 2014 zeigte sich "Tschuri" erstmals auf den Bildern der OSIRIS-Kamera an Bord von Rosetta. Die Aufnahme gleicht zunächst der eines Amateur-Astronomen, der den Kugelsternhaufen M 107 in der Konstellation Schlangenträger fotografierte. Aber den hatte man nun nicht im Blick. Das Interesse galt einzig und allein einem Pünktlein, das man ansonsten übersieht und das eigentlich nicht zu diesem Bildausschnitt gehört: Der Komet "Tschuri" hat nun sichtbar für OSIRIS die Bühne betreten. Es ist nach einer 10jährigen Reise durch den dunklen Weltraum etwas ganz Besonderes, endlich den Lichtpunkt zu sehen, für den man ein halbes Forscherleben investierte. Aber noch trennen rund 5 Millionen Kilometer Raumsonde und Komet und der Komet deckt im Bild nur den Bruchteil eines Pixels ab (Abbildung 13).
Abbildung 13: Das erste Bild von "Tschuri" am 21. März 2014 anhand der OSIRIS-Kamera an Bord von Rosetta: Noch trennen 5 Millionen Kilometer Rosetta und Komet. Gezeigt ist der Kugelsternhaufen M 107 und recht daneben der als Punkt erkennbare Komet im Zentrum des Kreises.
Credit: ESA 2014, MPS for OSIRIS-Team MPS, UPD, LAM, IAA, SSO, INTA, UPM, DASP, IDA
Bereits im April 2014 zeigte die OSIRIS-Kamera eine erkennbare Koma des Kometen, als man noch von "Tschuri" als einem inaktiven Körper dachte. Allerdings - oder glücklicherweise - hielt diese Pracht nicht lange an und Bilder vom Juni 2014 zeigten erneut ein "harmloses" Sternchen. Für die Landung von Philae ist es sicher einfacher, wenn "Tschuri" noch eher inaktiv ist. Offenbar ist der Komet zu früh aufgewacht - und gleich wieder eingeschlafen (offensichtlich sind aktive und passive Phasen für dieses Projekt typisch: Rosetta zwang man dies auf, der Komet tut dem gleich - und wie wir später sehen werden, macht Philae da keine Ausnahme).
Ein Vortragsabend im Dornier-Museum diente zum Warmlaufen für das eigentliche Event der Landung im November, wenn auch Paolo Ferry als ESA-Missionsleiter das Wake-up - Ereignis im Januar als kritischer einstufte. Sämtliche Stühle im Museum wurden angeschleppt und reichten nicht, um die über 300 Zuhörer zu fassen. Abbildung 14 gibt einen Eindruck von der Atmosphäre im Flugzeug-Hanger, in dem die „Reise zu den Anfängen unseres Sonnensystems“ am 8. Oktober 2014 stattfand. Referenten waren Gunther Lautenschläger, Nachfolger von Dr. Rainer Best als Projektleiter, Prof. Bernd Feuerbacher, Vater des Rosetta-Landers und ich.
Abbildung 14: „Aufbruch zu den Anfängen unseres Sonnensystem“ im Dornier-Museum mit über 300 Zuhörern aus der Umgebung von Friedrichshafen am 8. Oktober 2014: Vorträge hielten Prof. Dr. Bernd Feuerbacher, Gunther Lautenschläger und Dr. Norbert Pailer.
Credit: Norbert Pailer
6. August 2014: Nach einer 6,4 Milliarden Kilometer langen Reise sollte an diesem Tag das erste von Menschenhand gemachte Objekt in eine gebundene Bahn um einen Kometenkern einschwenken und sich ihm auf 100 km annähern. Erfreulicherweise kam es nicht nur zur Begegnung mit dem Kometenkern, sondern auch zur Begegnung mit vielen alten Kollegen: Abbildung 11 zeigt die ehemalige Heidelberger Truppe, die sich nun vor dem 1:4 Modell von Rosetta aufstellte: (von rechts nach links) Dr. Norbert Pailer, Astrium, Dr. Gerhard Schwehm (ehemaliger Rosetta-Projektwissenschaftler), Prof. Dr. Eberhard Grün (mein ehemaliger Doktorvater und enthusiastischer Promoter von Rosetta), Dr. Manfred Warhaut (ehemaliger ESA-Flugbetriebsleiter), Prof. Dr. Hugo Fechtig (damaliger Institutsleiter des Max-Planck-Instituts und Vater von Rosetta), Dr. Jochen Kissel (ehemaliger Betreuer meiner Diplomarbeit und Principle Investigator bei allen bisherigen Kometenmissionen ("Mister Comet")). Im Laufe der Annäherung von Rosetta an den Kometen, wurde auch das bisher best aufgelöste Bild des Kometenkerns sichtbar, welches naturgemäß in vielerlei Hinsicht überraschte; siehe Abbildung 16:
- Weder Kugel noch Kartoffel: Erstmals wird die zuvor bereits erkannte qietschentenähnliche Gestalt des Kerns in voller Schönheit sichtbar. Wir haben es mit einem komplexen Körper zu tun, der sicheres Landen nicht gerade erleichtert.
- Oberfläche des Kometenkerns ist so dunkel wie frischer Asphalt
- die Vielgestaltigkeit der Oberfläche lässt Konturen erkennen, die von zigarrenascheähnlicher Konsistenz über Katzenspreu bis hin zu steinhart gefrorenem Eis reicht
Die Zeit bis zur Landung galt nun der geschickten Auswahl des bevorzugten Landeplatzes, der nicht nur wissenschaftlich interessant sein soll, sondern auch ein sicheres Landen ermöglicht. Das nächste Ereignis bei ESOC war die mit Spannung erwartete Landung des Landegeräts Philae auf dem Kern des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko (Kurzform „Tschuri").
Abbildung 15: Die ehemalige Truppe vom Max-Planck-Institut in Heidelberg vor dem Modell der RosettaSonde (von rechts nach links): Dr. Norbert Pailer, Dr. Gerhard Schwehm (ehemaliger Rosetta-Projektwissenschaftler), Prof. Dr. Eberhard Grün (mein Doktorvater und Rosetta-Promoter), Dr. Manfred Warhaut (ehemaliger ESA-Flugbetriebsleiter), Prof. Dr. Hugo Fechtig (ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg und Vater von Rosetta), Dr. Jochen Kissel (Betreuer meiner Diplomarbeit und Principle Investigator für Staubinstrumente auf sämtlichen Kometenmissionen).
Credit: Norbert Pailer
Abbildung 16: Das ist also des Kometen Kern: Der Kometenkern von Tschurjumow-Gerassimenko aus ca. 100 km Entfernung: Es war ein bewegender Moment, als Dr. Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, die ersten hochaufgelösten Bilder des Kometen aus ca. 100 km Entfernung den Kometenexperten als historisches Ereignis einführte. Noch vor kurzer Zeit war dieses Objekt ein einzelner, verwaschener Lichtfleck im dunklen Raum.
Credit: ESA/ESOC, winfuture.de
11./12. November 2014. Zehn Wochen nach meinem neuen Stand als „Jungsenior“ trete ich meine letzte Dienstreise an mit einem Vehikel, mit dem ich beruflich eigentlich nie unterwegs war: Mit dem Zug (die heftigste Dienstreise war wohl in Japan, wo ich beim Unterwegssein mit dem Mietwagen von Tokyo nach Kamakura nicht mal die Hinweisschilder lesen konnte; Navis gab`s damals noch nicht). Ziel war wieder mal jener ziemlich unverdächtiger Gebäudekomplex in einem Industriegebiet in Darmstadt in einer Straße, die nach dem Freigeist und Erfinder Robert Bosch benannt wurde. Heute werden dort hochfeine Dynamikrechnungen angestellt, alle europäischen Satelliten betreut, Roboterärmchen im Weltraum bewegt, Landebeine in der Nähe ferner Welten ausgefahren, Kometen gejagt, Planetenoberflächen angebohrt - um nur einiges zu nennen. Im Gegenzug liefern die Satelliten und Landegeräte feinste Daten, über denen Wissenschaftler brüten und die ständig unser Weltbild verändern und verfeinern.
Auf einem der vielen, bunten Bildschirme bei ESOC dreht sich seit Wochen ein Objekt, dessen Form vergleichbar mit der einer Quietschente ist: "Tschuri", Zielkomet von Rosetta. Es ist nicht ganz überraschend, aber doch bemerkenswert, dass sich dieses Teil nicht nur unablässig dreht, sondern auch stinkt, was an seinem Kohlenstoff und an seinem Ammoniakgehalt liegen mag. Üblicherweise denkt man, so ein Weltraum sei eine geruchsneutrale Sache, aber das stimmt nicht. Der ESA-Astronaut Alexander Gerst hat sich vor Monaten von der Raumstation ISS aus über den Geruch des Weltraums ausgelassen. Und der muss es ja wissen, hat er es doch dort 165 Tage ausgehalten. Er twitterte: „Für mich riecht der Weltraum nach einer Mischung aus Walnuss und Bremsbelägen meines Motorrads.“ Da haben wir`s aus berufenem Munde. - Aber vielleicht sprach er auch vom Geruch im Innern der Raumstation?!
In diesen Tagen wird von ESOC aus etwas gesteuert, was bisher niemand tat: Erster Landungsversuch auf einem Kometenkern. So etwas hautnah mitzuerleben, Teil davon zu sein, das grenzt an eine seismographische Erschütterung eines Lebens, das sich über Jahrzehnte mit Kometen, ihren Stäuben und nicht zuletzt mit Rosetta beschäftigte.
Am 11. 11. kam ich früh genug an, um an der ersten GO/NOGO Decision teilzunehmen. Die letzte war für den frühen Morgen des 12.11. vorgesehen. Ich traf ESOC total mit Sendewagen zugeparkt vor. Alle hatten ihrerseits ihre Antennen wieder mit ihren Botschaften zum Himmel gerichtet, um über Satellit aktuelle Nachrichten zu verbreiten. Abbildung 17 gibt einen schwachen Eindruck wieder; leider konnte ich für die Aufnahme keine Vogelperspektive einnehmen.
Abbildung 17: Teil des vollständig zugeparkten Geländes beim European Space Operation Center ESOC mit Sendewagen, die ihrerseits ihre Botschaften wieder in den Weltraum absetzen
Credit: Norbert Pailer
Wir Airbusler (Kollegen von Airbus DS GmbH, wie wir in der Zwischenzeit heißen), waren bereits am ersten Meilenstein des Tages interessiert, nachdem auch die letzte GO/NOGO Decision positiv ausfiel (wohlwissend, dass das Kaltgassystem des Landegeräts nicht ansprechbar war): Es ging um perfektes Absetzen unseres Trittbrettfahrers Philae, den wir nun lange genug durch den Planetenraum schleppten. Er sollte dann auf einer Wurfparabel mit 1 m/sec aus 22 km Entfernung nach rund 7 h auf "Tschuri" aufsetzen. Alles klappte rosettamäßig. Abbildung 18 zeigt den dankbaren Applaus der Beteiligten.
Abbildung 18: Blick in die Runde nach erfolreicher Abkopplung von Philae vom seinem Transportfahrzeug Rosetta; neben Dr. Gerhard Schwehm ist John Credland, ehemaliger Leiter der Wissenschaftsprojekte bei ESA zu sehen
Credit: ESA/ESOC
Der nächste Schritt war nun ein jeweiliges Farewell-Foto. Während Philae gegen die Sonne fotografieren musste, gelang von Rosetta aus ein nahezu perfektes Bild von einem Landegerät, bereit, um auf einer Kometenoberfläche zu landen: Philae hatte alle drei Landebeine ausgestreckt und ROMAP (Rosetta Lander Magnetometer and Plasma) Detektor war ausgeklappt. Abbildung 19 gibt die Szene wieder: Es ist fast wie Hollywood - nur eben besser!
Abbildung 19: Mit vielen Aaaaaahhhhs und Oooooohhhs wurde dieses Bild wahrgenommen: Philae ist nach mehr als 10 Jahren Huckepack-Reise von Muttersonde Rosetta getrennt und streckt auf dem Weg zum Kometenkern alle Dreien von sich. Philae scheint bereit zu sein, dem Kometen direkt zu begegnen.
Credit: Norbert Pailer
Für Rosetta gab es jetzt noch einen entscheidenden Schritt: Da Rosetta auch als Relaisstation für die Funkstrecke zu Philae zu dienen hatte, musste diese erst etabliert werden - was wieder rosettamäßig gut gelang. Damit konnte einer erfolgreichen Landung (fast) nichts mehr im Wege stehen (der Wegfall des Kaltgassystems beim Lander wurde deshalb kleingeredet, als "Tschuri" eine größere Gravitationskraft als "Wirtanen" hatte und man dem Harpunensystem, bestehend aus zwei Harpunen, eine Kompensation zutraute. Allerdngs musste es auch alle Sicherheitsanforderungen von Arianspace erfüllen, zumal die Harpunen in der Fairing direkt auf die Treibstofftanks gerichtet waren ...). Und in Sachen Sicherheit gibt es keine Toleranz!
Auf dem Weg zum Kometen lieferte Philae mit der ROLIS-Kamera noch ein schönes Bild des Kometenkerns aus 3 km Entfernung, also kurz vor dem Ziel; es ist in Abbildung 20 zusehen.
Abbildung 20: Aufnahme des Kometenkerns aus 3 km Entfernung mit Hilfe der ROLIS-Kamera an Bord von Philae während des Abstiegs zur Oberfläche des Kometenkerns
Credit: ESA/ESOC/ROLIS
Nach langem Fiebern gab es endlich das Signal der Landung: Landebein hat Komet berührt; Impulsübertrag auf Landebein innerhalb der Spezifikation. Der Jubel kannte kaum Grenzen. Der Generaldirektor Prof. Jean-Jacques Dordain schluckte auffällig am Mikro und gab es dann - tief gerührt - frei für Prof. Jean-Pierre Bibring, den Lander-Wissenschaftler. Es geht einem schon unter die Haut, wenn ESA-Größen in aller Öffentlichkeit das Taschentuch brauchen ... Das hast du nicht alle Tage.
Danach blickte man längere Zeit auf etwas ratlose Gesichter im Kontrollraum, ohne zu wissen, was da gerade abgeht. Aber es lag Spannung in der Luft. Das war fühlbar. Es wurde gelandet, aber irgendwas stimmte nicht. Die Lage war so wenig klar, dass nach einem Verschieben des letzten Meetings des Tages mit der Bekanntgabe des ersten Panorama-Bildes man auf den nächsten Tag vertröstet wurde, zumal Rosetta unter den Horizont des Kometen zu fliegen kam und damit keine Daten-Verbindung mehr bestand. So wurden wir am Ende dieses aufregenden Tages ins Bett geschickt, nachdem - als Ersatz für Kometenbilder - wir uns noch selbst fotografierten; Abbildung 21 zeigt das Ergebnis einer zufriedenen, glücklichen Airbus-Crew.
Nun hat Rosetta eine ganze Reihe von Untersuchungen schon erfolgreich absolviert, das Landegerät wurde auf dem Kometen abgesetzt. Die ganze Konfiguration "Kometenkern - Landergerät - Rosetta" bewegt sich nun auf die Sonne zu und wird im August 2015 den sonnennächsten Punkt erreichen. Es wird nun der Enkelgeneration der Missionsväter überlassen sein, die interessanten Daten mit ihren immer neuen Rätseln in Empfang zu nehmen, Schlüsse zu ziehen - und damit sicher unser Bild von Kometen entscheidend zu verändern. Mir war es ein Geschenk des Himmels, Teil von Rosetta zu sein und ich nahm die Gelegenheit wahr, mit 65+ aufzuhören - dort, wo es am schönsten war.
Abbildung 21: Das Airbus-Team unter sich kurz vor dem Knallen von Sektkorken; von links nach rechts: Dr. Rainer Best (Projektleiter), Tommy Strandberg, Dr. Michael Menking (Airbus Raumfahrtchef), Michael Jauvier, Gunter Lautenschläger (Nachfolger von Dr. Best), Pascal Regnier, Fred Tanner, Wolfgang Pitz, Dr. Norbert Pailer, Alois Aitner
Credit: Norbert Pailer
Tagsüber saß neben mir eine Dame; sie sprach von Direktorin eines europäischen Gen-Instituts. Gerade hat man Prof. Klim Churyumov, Ukrainer und Entdecker des Zielkkometen, ans Mikrophon gebeten (s. Abbildung 22), stupste sie mich und gab mir den Blick frei auf ihren Bildschirm. Dort konnte ich nur lesen: „Russen marschieren in die Ukraine ein“. Zeitgleich. - Wir Menschen scheinen schon eine komische Kohlenstoffverbindung zu sein! Das passte wie die Faust aufs Auge zu dem, was sich gerade vor unseren Augen abspielt und was ich über Dekaden in der Weltraumforschung erleben durfte: Sie ist nämlich nicht nur interessant, kulturfördernd, sondern eben in ihrer Natur auch völkerverbindend.
Abbildung 22: Prof. Klim Churyumov aus der Ukraine, Mitentdecker von Tschuri, bei seinem Interview im ESOC. Er ist leider kurz nach Ende der Rosetta-Mission gestorben.
Credit: Norbert Pailer
Diese Erfahrung reicht zurück bis in meine Institutszeiten, in denen ich jährlich nach Houston, Texas, zur "Lunar & Planetary Science Conference" reiste. Ich durfte erleben, wie in Zeiten des Kalten Krieges die ersten Sowjets paarweise auftauchten. Kaum ein Wort englisch parat, aber eine Neugier auf die westliche Welt. Dann reiste ich nach Moskau. Verbrachte eine Konferenz auf einem Schiff von Prof. Avanesov, der mich dort auch zu einer unvergesslich schönen, privaten Feier für seinen Sohn einlud. Das völkerverbindende Element gipfelte für mich in einem Fax, das nach Öffnung der Grenzen mein Freund Avakyan aus St. Petersburg an mich richtete. Er forschte zuvor fürs Militär und musste nun in einen zivilen Job übergeführt werden. Ich setzte mich als Consultant bei EU für ihn ein. Sein Kommentar: „You saved my life through your engagement for me and my family.“
13. November 2014: Die erste und wichtigste Frage am Beginn des Tages war: Konnte Rosetta Kontakt mit Philae aufnehmen? Spricht man wieder miteinander? Tatsächlich sah man im Laufe des Tages erste Bilder, die zeigten, dass der Lander - möglicherweise an einem Kraterrand - vertikal in einem verschneiten Felsgebilde verklemmt ist. Möglicherweise kann Rosetta bei einer kleineren Annäherung mehr Licht ins Dunkel der augenblicklichen Situation bringen. Ich dachte gar an die Idee, ob Rosetta nicht gegen Missionsende in der Nähe von Philae auf dem Kometen landen könnte, bevor beide als Teil des Kometenstaubschweifs wieder vereint werden. - Habe mich richtig gefreut, irgendwo zu lesen, dass diese Option tatsächlich diskutiert wird.
Das größte Eis am Stück? Zu zentralen Zielen der Rosetta-Mission gehört die Aufgabe, mehr Licht ins Dunkel der Frage zu bringen, woher z. B. das viele Wasser auf unserem Planeten kommen könnte. So war auch das Motto dieses "Kometenjahres" der ESA: Comets water life! Sicher, es gibt Kristallwasser in vielen Mineralien, die auf Ausgasprodukte der Erde hinweisen. Zusätzlich waren Kometen als das größte Eis am Stück schon immer verdächtig. Nun haben Besuche von Giotto bei Halley, von Stardust bei Wild 2 und nun von Rosetta bei "Tschuri" Kometenkerne und deren Farbe als das schwärzeste Schwarz - schwärzer als frischer Asphalt - wahrgenommen. Gut, was man vom Kometenkern sieht, ist zunächst die Kruste, es sei denn, dass die "Tomographie des Kometenkerns" per Radiowellen bei Rosetta mehr Auskunft über den inneren Aufbau geben kann. Es erscheint schwer, sich ein steinigeres, mehr ramponiertes und weniger Schneeball-ähnliches Objekt vorzustellen als "Tschuri". Das macht die Frage nach der Herkunft des Wassers auf unserem Planeten spannend bis schwierig, jedenfalls offener denn je. Bemerkenswerterweise haben erste Ergebnisse von Rosetta ein ungewöhnlich großes Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff D/H ermittelt. Da es rund Faktor 3 höher ist als das in irdischem Wasser, sind wohl Kometen (vom Typ "Tschuri") die am wenigsten verdächtigen Objekte ...
Wie in Abbildung 23 gezeigt, würde der Größenvergleich eines Einschlags vom Format des "Tschuri" über Los Angelos aussehen. Experten sagen, dass rund 10 Millionen solcher Kometeneinschläge erforderlich wären, die nach der Abkühlung unseres Planeten Wasser auf denselben gebracht haben sollen. Und das mit typischweise einigen km/s. Das müssen äußerst turbulente Zeiten gewesen sein! Zusätzlich zu Wasser könnten auch organische Komponenten unseren Planeten bereichert haben, wobei "organisch" im chemischen Sinn nicht "biologisch" bedeutet. Solche Stoffe kommen auch im tiefen Weltraum nicht selten vor.
Abbildung 23: So würde sich der Einschlag eines Kometen vom Format "Tschuri" über der kalifornischen Stadt Los Angelos darstellen. 10 Millionen Einschläge von dieser Sorte wären nach Expertenmeinung ungefähr nötig, um die Becken der Ozeane auf unserem Planeten mit Wasser zu füllen - welch unruhige Zeiten!
Credit: Matt Wang, Flickr:anosmicovni, European Space Agency
Die Erfüllung eines Traumes
Ein großer Wunsch wird erfüllt: Nachdem ein gut Teil meines Forscherlebens sich mit Kometen - insbesondere dem "Tschuri" - beschäftigt hat, ich die beiden Entdecker kenne und "mein" Geraffel um den Kometen fliegt, trug ich immer den Wunsch mit mir, diesen Kometen - falls möglich - von meinem Garten aus mit meinem einfachen, weitgehend selbst gebasteltem Equipment - zu fotografieren. Längst hat sich der Komet von seinem Periheldurchgang (sonnennächster Punkt im August) verabschiedet und sollte nun in relativ günstiger Position am Himmel zu beobachten sein. Aber gleichzeitig wird er dunkler - weil weniger aktiv. Ein guter Kompromiss sollte um die Monatsmitte des November 2015 sein.
Da der Himmel im allgemeinen keine Hinweisschilder hat, benutzte ich mein Teleobjektiv als Sternsucher (wer schon einmal versucht hat, einzelne Sterne durch den Sucher einer Spiegelreflexkamera zu orientieren, der schätzt ein starkes Nervenkostüm). Denn leider war der Komet fernab markanter Objekte als Orientierungspunkte. Gut, da war vor meiner Gartensäule des Teleskops zunächst noch die große Birke des Nachbarn im Wege. Aber es sollte "nur" eine Frage der Zeit sein, dass Tschuri auch dahinter vorkommt und eben die aufgehende Sonne den Horizont noch nicht zu sehr aufhellte.
So war ich auf Star Hopping angewiesen. Und das bedurfte einiger Iterationen, sprich Nächte (mein Equipment erlaubt nicht, einfach die aktuellen Koordinaten der Kometenposition einzugeben und das Knöpfchen zu drücken). Jeweils gegen 2:30 ging`s aus dem (warmen) Bett in den Garten, nachdem ein Blick aus dem Dachflächenfenster zeigte, dass es der Himmel mit dem Nebel gnädig meint, der Mond war längst untergegangen, sodass sein Licht nicht störte und es war so gut wie windstill. Ich war am frühen Morgen eines jungen Novembertages noch nicht mit Einrichten - in diesem Fall dem Fokussieren - fertig, da kratzte plötzlich eine helle Sternschnuppe den dunklen Sternhimmel an, wahrscheinlich ein verspäteter Taurid (ein Staubteilchen vom Kometen Encke), der mir anscheinend einen relevanten Hinweis auf das relevante Suchgebiet des Kometen Tschuri geben wollte. Geistesgegenwärtig belichtete ich diese Szene. Abbildung A zeigt diesen Schnappschuss. Dann folgte ich - wie die Weisen aus dem Morgenland - diesem "Zeichen des Himmels". Aber auf den Bildern der ersten Serie war leider kein Komet zu sehen. Ich hatte das verdächtige Gebiet getroffen, aber die Belichtung war wohl zu kurz und der Himmelsausschnitt zu groß, um das schwache Funzeln des Kometen zu sehen. Und dann kam der Nebel hoch. Das war zwar nach dem aufwändigen Einrichten ärgerlich, konnte aber am Ende nicht entmutigen.
Abbildung A: Ausschnitt des Sternhimmels unterhalb des Sternbilds "Löwen". Die schöne Galaxiengruppe zeigt im Uhrzeigersinn oberhalb der Bildmitte NGC3628 / M65 / M66 plus einem verspäteten Tauriden als Sternschnuppe, welche die relevante Gegend von "Tschuri" wie ein Hinweisschild andeutete.
Credit: Norbert Pailer
Der 16. November 2015 passte von den Sichtverhältnissen, dem Mondlicht - und auch die Temperatur war angenehm (wir hatte ja immerhin den wärmsten November seit den Wetteraufzeichungen). Aber bis bei meinem sebstgestrickten Geraffel alles sitzt und ausgerichtet ist, dauert das seine Zeit. Schon kam im Osten der Jupiter über den Horizont, gefolgt von Mars und Venus und unterhalb die schmale Mondsichel des abnehmenden Mondes mit seinem letzten Licht - eine wunderschöne Lichtparade! Und bei mir am Teleskop lief endlich die erste Messserie. Immer wieder wirst du bei der Wahl des Himmelausschnitts von der Frage geplagt: Hast du auch den richtigen Bereich getroffen, vor allem, wenn mit höherer Vergrößerung gearbeitet wird und die Bildserie ansteht? Am Bildschirm vor Ort lässt sich das nicht endgültig entscheiden. Da muss erst eine Bildauswertung her.
Die Kampagne wurde abgeschlossen, nachdem sich im Osten der Horizont schon ein bisschen aufhellte und die Strahlkraft der Milchstraße über mir nachließ. Das war gegen 5:30 Uhr. Nein, ich konnte noch nicht ins Bett, sondern musste die Bilder am großen Bildschirm unseres iMac einem ersten Test unterziehen. Die Sachlage war nicht ganz klar. Das Rauschen war dominant und Fragen kamen auf: Ist ein Objekt mit einer visuellen Helligkeit von < 14. Magnitude für meine Gerätschaft nicht zu leuchtschwach? Ist es überhaupt möglich, mit einem selbstgebauten Teleskop so vermessen zu sein, um ein < 5 Kilometer großes / kleines Objekt in rund 280 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde abzubilden? War seine Aktivität schon zu weit zurückgegangen? Ich habe Bekannte (Jean-Francois Pittet und Robert Purvinskis) eingeschaltet, um deren Meinung zu hören, zumal ich dem "Untergrundrauschen" der Bilder nicht zu viel Bedeutung beimessen wollte. Gleichzeitig sah ich mich nach all dem Aufwand dem Zwang meiner Phantasie ausgesetzt, etwas Kometenhaftes sehen zu müssen. Tatsächlich erwies es sich als vorschnell, bei der Betrachtung eines einzelnen Bildes einen richtigen Schluss ziehen zu können.
Auswertung: Eine Sternenkarte ließ uns das Gebiet zuverlässig eingrenzen. Tatsächlich zeigte sich an relevanter Stelle (Leuchtspur der Sternschnuppe) eine winzige Aufhellung im elektronischen Rauschen; siehe Abbildung B. Das einzig Verdächtige auf der ganzen Serie von Aufnahmen! Zwei Vorgehensweisen konnten nun mehr "Licht" in die Verhältnisse bringen:
1. Vergleiche zwei Aufnahmen, die im zeitlichen Abstand von rund einer Stunde aufgenommen wurden
- zeigt die verdächtige Aufhellung eine Bewegung?
- geht sie in die richtige Richtung?
==> Abbildung C1 zeigt den Ausschnitt am Himmel ohne Komet (alte Aufnahme)
==> Abbildung C2 ist das Ergebnis der Überlagerung zweier Bilder im Abstand von fast einer Stunde
Abbildung B: Zu sehen ist wieder die Galaxiengruppe am oberen und die besagte Aufhellung des elektronischen Rauschens am unteren Rand des Himmelsausschnitts, diesmal mit etwas höherer Vergrößerung
Credit: Norbert Pailer
Abbildung C1: Ausschnitt aus der der Sternkarte (ohne Komet): Verdächtiges Gebiet zeigt keinerlei Auffälligkeit in Form einer möglichen Aufhellung
Credit: Norbert Pailer
Abbildung C2: Überlagerung zweier Aufnahmen in einem zeitlichen Abstand von fast einer Stunde: Die "Aufhellung" bewegt sich - und zwar in die richtige Richtung
Credit: Norbert Pailer
2. Addiere Bilder der Serie, um das Signal- / Rauschverhältnis zu verbessern
- das elektronische Rauschen wirkt zwar einigermaßen störend, verhinderte aber nicht die Abbildung einer kometenhaften Erscheinung
==> Abbildung C3 zeigt das Objekt der Begierde durch Überlagerung von fünf Aufnahmen mit je 80 s Belichtung gegen 5:30 Uhr. Ein gut Teil meines Forscherlebens hat sich um diese paar leicht aufgehellten Pixel gedreht! Und das besagte Landegerät Philae mag aufgrund der Kometenaktivität während des Periheldurchgangs (es werden immerhin knapp 10 m pro Umlauf von der Kometenoberfläche abgetragen) schon Teil des angedeuteten Kometenschweifes geworden sein - falls es sich nicht doch noch um die Jahreswende meldet ...
Leider war ich diesmal zu nachlässig, um Korrekturaufnahmen (Flats, Darks etc.) zu machen, die das Bild schöner, aber nicht unbedingt eindeutiger gemacht hätten.
Abbildung C3: Durch Überlagerung von fünf Aufnahmen von jeweils 80 sec zeigt sich das Objekt der Begierde: Um diese paar leicht aufgehellten Pixel hat sich ein gut Teil meines Forscherlebens gedreht und das Landegerät Philae mag aufgrund der Kometenaktivität während des Periheldurchgangs bereits Teil des angedeuteten Staubschweifs geworden sein - falls es sich nicht doch noch mal um die Jahreswende 2015/16 meldet?!
Credit: Norbert Pailer